Tschechien hält am Atom-Ausbau fest

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Tschechien will bis zu vier neue Atomreaktoren bauen. Der teilstaatliche Stromkonzern ČEZ hat entsprechende Angebote von zwei Anbietern eingeholt: der staatlichen französischen EDF und der ebenfalls in Staatsbesitz stehenden koreanischen KHNP. Der amerikanische Technologiekonzern Westinghouse ist aus dem Bieterverfahren ausgeschlossen worden, weil er nicht alle Bedingungen erfüllen konnte.

Errichtet werden sollen die neuen Reaktoren an den Standorten der bestehenden AKW im südböhmischen Temelín und in Dukovany in Südmähren. Die Regierung rechnet für den ersten Reaktor mit Kosten von umgerechnet rund siebeneinhalb Milliarden Euro und geht von einer Fertigstellung im Jahr 2036 aus.

Experten, die sich diese Woche in Prag zur Nuclear Energy Conference getroffen haben, halten diese Pläne für sehr ambitioniert. Alle AKW-Projekte der jüngsten Vergangenheit waren von jahrelangen Bauverzögerungen und explodierenden Kosten gekennzeichnet. Selbst unter optimalen Bedingungen gehen Branchenkenner deshalb davon aus, dass der erste neue Reaktor in Tschechien frühestens 2040 ans Netz gehen könnte und die Baukosten die Acht-Milliarden-Euro-Grenze überschreiten. Umstritten ist, ob Tschechien diese Investition überhaupt stemmen könnte: Sie würde jedenfalls das tschechische Budgetdefizit um mehr als 60 Prozent erhöhen. Die Europäische Kommission hat bereits zugestimmt, dass der Staat den Atomausbau in Tschechien mit Steuergeldern und Krediten fördern darf. Die Regierung in Prag hat das bisher aber nur für einen Reaktor beantragt. Für die geplanten weiteren drei müsste sie erneut in Brüssel ansuchen.

Nuclear Energy Conference in Prag – Foto: Land Oberösterreich / Werner Dedl

Heftig diskutiert wird auch darüber, ob Tschechien überhaupt so viele neue Atomreaktoren braucht. Eine in dieser Woche veröffentlichte Studie der Expertenplattform “Fakta o klimatu” (“Fakten über das Klima”) sieht einen Bedarf von nur zwei neuen Reaktoren. Die Studienautoren betonen aber auch, dass es riskant wäre, gar keine neuen Kernkraftwerke in Tschechien zu bauen: Die verbliebenen Kohlekraftwerke müssen in den nächsten Jahren abgeschaltet werden und in absehbarer Zeit stellt sich die Frage nach der Zukunft der bestehenden vier Reaktoren in Dukovany: Sie sind zwischen 1985 und 1987 ans Netz gegangen, die Planungen für das mit sowjetischer Technologie realisierte AKW reichen bis ins Jahr 1970 zurück. Um das AKW weiter betreiben zu können, stünden erhebliche Investitionen in eine Laufzeitverlängerung an. Eine Alternative dazu ist der Bau neuer Reaktoren.

Unterstützt wird der Atomausbau in Tschechien von nahezu allen Parteien: Sowohl die bürgerlich-liberale Koalitionsregierung wie auch die Oppositionsparteien mit Ausnahme der Grünen stehen hinter dem Vorhaben. Auch eine Mehrheit der Tschechinnen und Tschechen ist dafür: In einer aktuellen Umfrage des Instituts NMS Market Research haben sich 59 Prozent der Befragten für den Bau neuer AKW ausgesprochen. Für die Nutzung der Kernkraft sprechen sich sogar fast drei Viertel der Tschechinnen und Tschechen aus.

Landesrat Kaineder, Grünen-Chefin Davis und Ex-EU-Kommissar Špidla (v.l.) im Gespräch am Rande der Nuclear Energy Conference in Prag – Foto: Land Oberösterreich / Werner Dedl

Landesrat Kaineder: “Gefährliche Technologie”

Oberösterreichs Umwelt- und Klimaschutzlandesrat, der am Mittwoch an der Nuclear Energy Conference in Prag teilgenommen hat, kann im Gespräch mit Life Radio-Reporter Daniel Kortschak einem weiteren Ausbau der Kernkraft in Tschechien dennoch überhaupt nichts abgewinnen:

Grünen-Chefin Davis: “Keine schlaue Entscheidung”

Auch Magdalena Davis, Co-Vorsitzende der tschechischen Grünen (Strana zelených), zeigt sich im Interview mit Life Radio-Redakteur Daniel Kortschak sehr skeptisch gegenüber der gewaltigen Investition in neue Reaktoren. Einen sofortigen Atom-Ausstieg Tschechiens hält allerdings selbst sie für unrealistisch:

Übersetzung des Interviews

Frau Davis, Tschechien überlegt, die Atomkraft auszubauen. Beziehungsweise ist sogar schon eine Entscheidung in diese Richtung gefallen. Ich gehe davon aus, dass Sie das für den falschen Weg halten …

Ja. Die Grünen sind die einzige Partei in Tschechien, die das für keine schlaue Entscheidung halten. Alle anderen Parteien, egal ob in Regierung oder Opposition, stehen hinter dem Ausbau der Kernkraft.

Aus welchen Quellen soll die Tschechische Republik Ihrer Meinung nach in Zukunft ihre Energie gewinnen?

Unserer Meinung nach muss das auf alle Fälle ein diversivizierter Energiemix sein. Wir glauben, auch mit Blick auf die kürzlich veröffentlichte Studie der Nichtregierungsorganisation “Fakta o klimatu”, dass das größte Potenzial für Tschechien in der Windkraft steckt, zum Teil aber auch in der Photovoltaik. Auch die bessere energetische Vernetzung in Europa ist unglaublich wichtig. Und eine entscheidende Rolle spielt das Energiesparen. Diese Studie beschäftigt sich auch mit der Kernkraft. Da ist aber ganz klar, dass die Finanzierungsrisiken erheblich sind und sich Tschechien den Neubau von einem, maximal zwei Reaktoren leisten kann. Die Regierung hat aber eine Untersuchung bei der Karlsuniversität in Auftrag gegeben, die mit dem Bau von drei Reaktoren rechnet. Und nicht einmal auf die Ergebnisse der Studie will man jetzt warten und gleich über den Bau von vier neuen Atomreaktoren entscheiden. Das halten wir für wirklich sehr unverantwortlich. Denn, und das haben wir auch heute schon auf dieser Konferenz in mehreren Beiträgen gehört, damit werden sämtliche Finanzierungsrisiken und alle zukünftigen Kosten auf die kommenden Generationen abgewälzt.

Ich danke Ihnen für dieses Gespräch!

Gern geschehen!

Ex-Premier Špidla: “Zukunft gehört den Erneuerbaren”

Vladimír Špidla, von 2002 bis 2004 tschechischer Premierminister und anschließend bis 2010 EU-Kommissar für Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit, gibt sich gegenüber dem von der aktuellen Regierung in Prag geplanten weiteren Ausbau der Kernkraft ebenfalls zurückhaltend. Er sieht im Gespräch mit Life Radio-Reporter Daniel Kortschak die energetische Zukunft seines Landes vor allem in der Nutzung der erneuerbaren Energiequellen:

Übersetzung des Interviews:

Herr Doktor Špidla, wie sehen Sie die Energie-Zukunft in Tschechien? Mit oder ohne Kernkraft? 

Ich denke, die Kernkraft in Tschechien ist so stark vertreten, dass auf absehbare Zeit ein gewisser Atomkraft-Anteil in Tschechien bleiben wird. Aber am Ende wir die entscheidende Technologie die Energie aus erneuerbaren Quellen sein. 

Sie sind also nicht dafür, dass weitere Reaktoren gebaut werden? Weder in Dukovany noch in Temelín? 

Da habe ich keine klare Vorstellung. Klar ist: Die vorhandenen Reaktoren in Dukovany und Temelín werden immer älter. Vernünftig aus Sicht der Tschechischen Republik wäre es wohl, ihre Laufzeit zu verlängern. Die großen Atom-Ausbaupläne halte ich für unrealistisch 

Wie läuft es in Tschechien mit dem Ausbau der erneuerbaren Energiequellen? Wird da schon groß gebaut, gibt es konkrete Pläne und Projekte? 

Bei den Erneuerbaren ist jetzt ein Moment des Umbruchs. Da gibt es gerade ein wirklich großes Wachstum. Was auch ganz wichtig ist: Die gesetzlichen Rahmenbedingungen haben sich entscheidend geändert. Damit sind zum Beispiel Energiegemeinschaften möglich geworden und so weiter. Man kann erwarten, dass das jetzt zu einem weiteren schnellen Wachstum führen wird.  Schon jetzt hat sich die Zahl der Projekte zum Ausbau der erneuerbaren Energiequellen vervielfacht. Und ich gehe davon aus, dass sich das noch weiter beschleunigen wird.  

Bedeutet das auch ein Ausstiegsszenario aus der Kohle? Noch laufen in Tschechien ein paar Kohlekraftwerke. 

Die verbleibenden Kohlekraftwerke werden jetzt relativ schnell stillgelegt werden. Nicht wegen der teuren Emissionszertifikate, sondern einfach deswegen, weil unsere Kohlevorkommen bald erschöpft sind. Dort gibt es bald keine Kohle mehr und dann ist es vorbei. Ich glaube, das wird noch sehr eng. Der weitere Ausbau der erneuerbaren Energiequellen wird gerade so schnell passieren, dass damit das ersetzt werden kann, was geschlossen werden muss. 

Ich danke Ihnen für dieses Gespräch! 

Danke! 

Titelbild: Kernkraftwerk Temelín – Foto: Pixabay / ivabalk