Ars Electronica: Hoffen auf eine bessere Welt

Endlose Videosequenzen, wild tanzende (oder ungeplant stillstehende) Roboter, hell erleuchtete Bioreaktoren in dunklen Kammern, dazu komplizierte Erklärtexte und ein künstlerisch-wissenschaftlicher Diskurs auf der Metaebene. Das verbinden viele mit der Ars Electronica. Nicht zu Unrecht, einige Ausgaben des Linzer Festivals für Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft hatten tatsächlich das Zeug dazu, die meisten Besucher zu überfordern und völlig erschöpft und ratlos zurückzulassen.

Der Titel der heurigen Ausgabe “HOPE: Who will turn the tide” (“HOFFNUNG: Wer wird das Blatt wenden?”) ließ da auf eine Wende hoffen. Und tatsächlich: Das Ars Electronica Festival kommt heuer erfreulich aufgeräumt, fokussiert und streckenweise erstaunlich analog daher. Besonders gut gelungen ist diese neue, schlankere Präsentationsform in der Themenausstellung “HOPE: the touch of many“, die sich in den endlosen und angenehm kühlen Bunkerräumen der Linzer Post City ausbreitet. Dort gibt es Platz genug, und diesmal gibt man der Kunst auch reichlich von diesem Platz. Das tut den insgesamt 24 Werken und Installationen gut, sie können perfekt mit den einzigartigen Räumen interagieren und sich perfekt in Szene setzen.

Zum Beispiel die Arbeit “Just asking for a friend” des österreichischen Künstler:innenlabors “Time’s up”, das zu Beginn der umfassenden Themenausstellung die Frage “How dare you maintain hopeful visions in times like these?” buchstäblich in den dunklen Bunkerraum wirft. Gestellt worden ist den Künstler:innen diese Frage in einer Diskussionsrunde. “Time’s up” hat den provokant zugespielten Ball aufgenommen und bei der Ars Electronica thematisert.

Damit, wie Künstliche Intelligenz nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Wahrnehmung und Darstellung der Vergangenheit immer mehr beeinflusst, setzt sich die Österreicherin Claudia Larcher in ihrem Projekt “AI and the Art of Historical Reinterpretation” auseinander. Sie kritisiert die durch die etablierten KI-Modelle entstehenden Verzerrungen in der Geschichtsschreibung, die vor allem zu Lasten von Frauen, Lesben und Trans-Personen geht. Mit einem eigenen fiktiven Bildarchiv will Larcher die KI trainieren und informieren, um eine ausgewogene Perspektive zu erreichen. Auf der Ars Electronica präsentiert sie ausgewählte Aufnahmen ganz analog: in vergilbtem Schwarzweiß mit Hilfe eines alten Karussell-Diaprojektors.

Ebenfalls sehr unelektronisch ist auf den ersten Blick die raumfüllende Installation der lateinamerikanischen Künstler:innenplattform “Sonandes”. “Triangle of Sacrifice” macht den für unseren digitalen Fortschritt unerlässlichen Abbau von Lithium zum Thema und kritisiert die massiven Auswirkungen auf die Umwelt in den Anden, wo 65 Prozent der weltweiten Vorräte des Edelmetalls lagern. Drei Skulpturen aus lokalen Metallen werden von einer Soundinstallation, die den Lithiumabbau in Echtzeit verfolgt, eingerahmt. Ein Tropfmechanismus mit Salzwasser zeigt den enormen Wasserverbrauch für die Gewinnung einer Tonne Lithium auf.

Eine Kombination aus Sound und Video ist “Hevea Act 6: An Elastic Continuum“. Die britisch-deutsche Künstlerin Bethan Hughes setzt sich in ihrem künstlerischen Forschungsprojekt mit der Geschichte der Kautschukgewinnung aus Löwenzahn in der UdSSR, Kasachstan und auch Auschwitz auseinander und hinterfragt dabei die Verstrickungen von Menschen, Pflanzen, Politik und Macht.

Bitterböse ist “Cold Call: Time Theft as Avoided Emissions“: Die Besucher werden aufgefordert, mit Hilfe eines Online-Tools Manager:innen von internationalen Ölmultis anzurufen und ihnen möglichst viel von ihrer Arbeitszeit zu stehlen. Damit will das US-amerikanisch-australische Künstler:innenduo Tega Brain und Sam Lavigne die Ölmanager möglichst lange an ihrer schmutzigen Tätigkeit hindern.

Im langen unterirdischen Verbindungsgang, in dem früher Briefe und Pakete direkt zu den Zügen am Linzer Hauptbahnhof transportiert wurden, macht sich “Iron 56” des chilenisch-spanischen Künstlers Carlos Sfeir Vottero breit. Mit rein analogen Mitteln setzt er sich mit den vier Grundkräften des Universums auseinander, im Zentrum steht dabei eine Reihe von Kompassnadeln.

Aus der beinahe völligen Dunkelheit der verlassenen Gänge unter der Postcity sticht die beeindruckende Rauminstallation “Cascade” des Spaniers Marc Vilanova hervor. Er zeigt auf, wie wichtig Wasserfälle für die Orientierung von Zugvögeln sind und lässt die Besucher die dabei ausgesendeten Infraschallwellen am eigenen Körper spüren.

Noch spielerischer wird es dann mit “Flock Of“: Das thailändische “bit.studio” lässt mit künstlichen Gehirnen ausgestattete und mit Helium gefüllte silberne Fische durch den Raum schweben. Dabei zeigt sich deutlich, dass die Künstliche Intelligenz noch ihre Grenzen hat: Immer wieder müssen Mitarbeiter die fliegenden Fische mit langen Stangen aus den Ecken befreien, in die sie sich sorg-, um nicht zu sagen hirnlos, hineinmanövriert haben. Außerdem müssen sie den haltlos herumschwirrenden Roboterwesen nachlaufen, wenn diese wieder einen ungeplanten Ausflug in den Nebenraum unternehmen.


Mit einem großen Augenzwinkern bietet der Wiener Designer Floran Sapp eine Lösung für die Energieversorgung der Zukunft: Mit “Human Powered Toaster” kann eine Scheibe Brot mit reiner Körperkraft getoastet werden. Eine selbst im kühlen Postcity-Bunker schweißtreibende Angelegenheit.

Julia Hahnl setzt da lieber Hunde zur Energiegewinnung ein: “Pawsitive Charge” der österreichisch-japanischen Designerin und Informatikerin bietet einen Solarrucksack für Vierbeiner, eine Teleskopleine mit eingebauten Dynamo und sogar einen Schwanzwedelgenerator. Sehr sympathisch, sehr lustig, aber wohl eher nichts für den Hundealltag.

Neben vielen erfrischend unkonventionellen und teilweise erstaunlich analogen Kunstwerken lässt die vom Ars Electronica-Festivalteam gemeinsam mit der ukrainischen Kuratorin Olga Tykhonova kuratierte diesjährige Themenausstellung aber natürlich auch Fans von Biorektoren und anderen komplexen wissenschaftlich-künstlerischen Maschinerien auf ihre Kosten kommen. Etwa mit “Biosymbiotic Exoskeleton” der slowenischen Künstlerin Dorotea Dolinšek. Der aufblasbare Raumanzug soll in extremen extraterrestrischen Umgebungen eine symbiotische Koexistenz mit dem Mikrobiom einer Person ermöglichen. “Fu(n)ga” des schweizerisch-italienischen Duos Tiziano Derme und Nadine Schütz untersucht die Beziehung zwischen Pilzwachstum, CO2 und akustischen Schwingungen. Und der Japaner Aoi Serizawa schafft mit “Is there” in einer kleinen beleuchteten Box ein bewegtes Bild von Wasser.

Tatsächlich leer gehen bei HOPE: the touch of many nur die Freunde von in Kreis tanzenden Robotern aus. Sie kommen bei der Ars Electronica aber an anderer Stelle auf ihre Kosten, etwa im Lentos Kunstmuseum bei der diesjährigen Prix Ars Electronica-Ausstellung. Oder bei der Ars Electronica Features Exhibition, die heuer die Nachfolge der bisherigen Ars Electronica Gardens angetreten hat. Dort präsentieren Partnerinstitutionen ihre Projekte – in diesem Jahr auch besonders sorgfältig ausgewählt und ganz auf das aktuelle Motto “HOPE: Who will turn the tide” fokussiert.

Viel Raum für ihre Innovationen bekommen bei der Ars Electronica natürlich wieder Universitäten und Studierende in der Campus-Reihe in der Postcity. Weitere Projekte sind in der Kunstuni, der Bruckneruni und heuer zum ersten Mal auch auf dem neuen Medcampus der Johannes Kepler-Universität zu sehen. Schon traditionell und dennoch weiterhin außergewöhnlich ist auch der Linzer Mariendom heuer wieder Festival-Location der Ars Electronica.

Neben den Ausstellungen wichtiger Bestandteil des Ars Electronica-Festivals sind wieder zahlreiche Konferenzen und Lectures, mehrere Konzerte in der einmaligen Gleishalle und die beliebte Nightline am Freitag in der Postcity.

  • Ars Electronica Festival 2024 “HOPE: Who will turn the tide”: bis Sonntag, 8. September in der Postcity und zahlreichen weiteren Orten in Linz: ars.electronica.art

Titelbild: Ars Electronica / bit.studio