Es passiert in Linz, in Wien oder auch im beschaulichen Leoben: Railjet- und Intercity-Züge der ÖBB können nicht mehr weiterfahren, weil zu viele Fahrgäste in den Waggons stehen. Wenn der Zugbegleiter nicht mehr durchgehen kann oder Feuerlöscher und Notsprechstellen blockiert sind, müssen Fahrgäste ohne Sitzplatz den Zug verlassen. Die wenigsten tun das freiwillig. Deshalb rücken regelmäßig ÖBB-Sicherheitsdienst und Polizei an, um die Züge zu räumen. Das führt zu massivem Unmut bei den Fahrgästen und verursacht große Verspätungen im gesamten Fernverkehrsnetz der ÖBB.
Das Ende der Corona-Beschränkungen und mehr als 160.000 verkaufte Klimatickets sorgen gerade für einen beispiellosen Ansturm auf die Öffentlichen Verkehrsmittel in Österreich. Die ÖBB hat das eiskalt erwischt, denn die Situation bei den Fernverkehrsfahrzeugen ist seit Jahren angespannt: Alle 60 Railjet-Garnituren sind tagtäglich im Dauereinsatz, es gibt nur enge Zeitfenster für die nötigen Wartungsarbeiten. Und die Intercity-Wagen sind mehrere Jahrzehnte alt und werden immer störungsanfälliger. Außerdem hat die ÖBB Personenverkehr-AG noch vor wenigen Jahren Dutzende zuvor aufwändig modernisierte ältere Waggons nach Tschechien und Ungarn verkauft. Sie fahren jetzt bei den Tschechischen Bahnen (ČD), der tschechischen Privatbahn Regiojet und der ungarischen Raaberbahn. Den ÖBB fehlen sie als Reserve für starke Reisetage.
“Was vor vielen Jahren passiert ist, bringt uns jetzt nicht weiter. Wichtig ist: Wir investieren Milliarden in neue Züge und sind damit für die Zukunft gut aufgestellt. Damit können wir die Kapazitäten deutlich ausweiten”, sagt dazu ÖBB-Sprecher Bernhard Rieder im Interview mit Life Radio-Redakteur Daniel Kortschak. Die ersten neuen Railjet- und Nightjet-Züge kommen allerdings frühestens im November zum Einsatz, zunächst im Tages- und Nachtverkehr zwischen Deutschland, Österreich und Italien. Zu spät für den heurigen Sommerreiseverkehr. Deshalb überlegt der ÖBB-Personenverkehr jetzt kurzfristig Waggons anzumieten, etwa aus der Schweiz oder von privaten Waggonverleihern in Deutschland. Eine Entscheidung darüber sei aber noch nicht gefallen, sagt ÖBB-Sprecher Rieder. Vorerst behelfen sich die ÖBB mit Bussen, um die aus überfüllten Zügen geworfenen Fahrgäste an ihr Ziel zu bringen. Zudem setzten die ÖBB am kommenden Pfingstwochenende wieder zahlreiche zusätzliche Züge mit mehr als 13.000 Extra-Plätzen ein. Dafür muss allerdings oft auf weniger komfortable Nahverkehrsgarnituren zurückgegriffen werden, denn es gibt nur einige wenige Fernverkehrswaggons als eiserne Reserve.
Ganz ähnliche Probleme hat die Deutsche Bahn (DB): Auch sie kämpft mit einem Mangel an Fahrzeugen und Personal, um Nachfragspitzen abzufangen. Deshalb müssen in Deutschland ebenfalls immer wieder Fahrgäste ohne Sitzplatzreservierung aus heillos überfüllten Zügen aussteigen. Mit Reisegutscheinen, Gratis-Essen und kostenlosen Upgrades in die 1. Klasse versucht die DB Fernverkehr-AG die Wut der ausgeladenen Fahrgäste zu dämpfen. Eine entspannte Anreise haben sich die meisten Urlauber aber sicher anders vorgestellt. Das ist bitter, denn immer mehr Gäste kommen mit der Bahn nach Oberösterreich, und es gibt inzwischen zahlreiche Kooperationen zwischen DB, ÖBB und heimischen Tourismusbetrieben, um die umweltfreundliche und staufreie Anreise mit dem Zug zu forcieren. Andreas Winkelhofer, Geschäftsführer des Oberösterreich-Tourismus, stellt den Bahnunternehmen deshalb die Rute ins Fenster: “Da müssen unsere Mobilitätspartner definitiv noch einen Schritt nach vorne machen und sich nach diesen neuen Marktbedürfnissen richten. Die Menschen wollen verstärkt mit Öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen. Da muss man sich einfach darauf einstellen.” Auch Oberösterreichs Tourismuslandesrat Markus Achleitner fordert im Gespräch mit Life Radio-Reporter Daniel Kortschak zuverlässige Zugverbindungen: “Die Bahnanbieter haben erkannt, dass sie Geschäft liegen lassen, wenn sie ihre Kapazitäten nicht ausbauen. Deshalb reagieren jetzt ÖBB und Westbahn. Das wünsche ich mir auch, denn die besten Urlaubsangebote sind nichts wert, wenn die Anreise nicht funktioniert. Daher meine Bitte: Dann Geschäft machen, wenn Geschäft da ist und mit den Zügen rauf auf die Gleise.”
Kostenpflichtige Platzreservierung empfohlen
Damit möglichst niemand aus einem überfüllten Zug aussteigen muss, empfehlen die Bundesbahnen an starken Reisetagen, etwa zu langen Wochenenden sowie generell an Freitagen, Samstagen und Sonntagen, allen Fahrgästen eine Sitzplatzreservierung. Die kostet allerdings drei Euro pro Person extra. Auch für Klimaticket-Besitzer. Einen anderen Weg geht da die private Westbahn: Sie bietet allen Fahrgästen mit Klimaticket eine kostenlose Platzreservierung und ein Gratis-Upgrade in die Comfort-Klasse. Außerdem wird der Fahrplan verdichtet. „Vorauszusehen, dass mit dem vorläufigen Abklingen von Corona und dem günstigen Klimaticket die Nachfrage spürbar steigen wird, das war nun wahrlich keine Raketenwissenschaft. Darum verdichten wir unseren Fahrplan am 12. Juni auch noch ein weiteres Mal“, sagt Thomas Posch, Geschäftsführer der Westbahn. Die weiß-blau-grünen Doppelstockzüge sind dann auf der Achse Wien – Linz – Salzburg weitgehend im Halbstundentakt unterwegs. Einige Züge werden auch nach München weitergeführt, und ab Dezember will die Westbahn auch Innsbruck anfahren. Die Kapazitäten seien ausreichend, zu Zugräumungen wegen Überfüllung sei es in der über zehnjährigen Geschichte der Westbahn noch nie gekommen, betont Geschäftsführer Posch, der früher selbst bei den ÖBB gearbeitet hat.
Außerdem fordert die Westbahn einmal mehr die ÖBB dazu auf, die Fahrkarten gegenseitig anzuerkennen. Damit wären die Fahrgäste flexibler, welchen Zug sie nehmen, und die verfügbaren freien Plätze könnten besser aufgeteilt werden. Bisher stehen die ÖBB dieser Forderung allerdings ablehnend gegenüber. Von gemeinsamen Fahrkarten für ÖBB und Westbahn würden allerdings ohnehin nur Fahrgäste entlang der Hauptachse Wien – Linz – Salzburg – München profitieren. Auf den Strecken von Wien und Linz Richtung Graz und Klagenfurt, auf der Tauernachse quer durch Salzburg und Kärnten sowie im Westen Österreichs gibt es bis dato keine Alternative zu den Fernzügen der ÖBB.
Keine Reservierungspflicht geplant
Immer lauter werden deshalb die Rufe nach einer Reservierungspflicht. Zumindest für einzelne Züge oder an besonders starken Reisetagen. Für die Westbahn ist das kein Thema. Und auch ÖBB-Sprecher Bernhard Rieder erteilt dem Ansinnen eine klare Absage: “Wir haben in Österreich ein offenes System. Und damit fahren wir seit vielen Jahren sehr, sehr gut, denn dadurch ist die Flexibilität für die Fahrgäste gegeben. Sie können im Normalfall mit jedem gültigen Ticket jeden unserer Züge benutzen. Dieses System wollen wir aufrecht erhalten. Es ist nicht angedacht, eine allgemeine Reservierungspflicht einzuführen. Allerdings gibt’s eine klare Reservierungsempfehlung für Starkreisetage oder zu den Stoßzeiten.” Eine allgemeine Reservierungspflicht wäre derzeit auch kaum umzusetzen, denn die sogenannten Gemeinwirtschaftlichen Leistungsverträge (GWL) mit dem Bund schließen eine solche explizit aus. Das heißt, Züge, die vom Staat subventioniert werden, müssen ohne Pflichtreservierung für alle Fahrgäste benutzbar sein. Das betrifft sämtliche Fernverkehrsverbindungen mit Ausnahme der Strecke Wien – Salzburg, wo ÖBB und Westbahn auf eigenes wirtschaftliches Risiko im Wettbewerb fahren und um jeden Euro kämpfen. Da kommen den Bundesbahnen die drei Euro pro Sitzplatzreservierung wohl alles andere als ungelegen, denn bei einer doppelten Railjet-Garnitur mit bis zu 884 Plätzen sind das mehr als zweieinhalbtausend Euro Körberlgeld.
Titelbild: © ÖBB/Christian Auerweck